Starke Beweise für gesundheitsschädliche Auswirkungen

Endokrine Disruptoren

Wachsendes öffentliches Bewusstsein sowie präzisere Erforschung der Auswirkungen bestimmter Chemikalien auf den menschlichen Hormonhaushalt können zu Schadenersatzansprüchen wegen hormoneller Störungen führen.

Zu den am häufigsten vorkommenden und wirksamsten chemischen Stoffen im menschlichen Körper zählen die Hormone, die in der gesamten Tier- und Pflanzenwelt vorkommen. Bei den Hormonen handelt es sich um chemische Stoffe, die durch eine endokrine Drüse oder Zellengruppe ausgeschieden werden und bestimmte physiologische Prozesse, unter anderem das Wachstum, den Stoffwechsel, Abwehrreaktionen, den Schlaf-Wach-Rhythmus, Stressreaktionen sowie die Fortpflanzung steuern oder regeln.

Chemische Stoffe, die den Hormonhaushalt von Pflanzen, Tieren oder Menschen stören können, werden als endokrine Disruptoren bezeichnet. Die Ergebnisse empirischer Feldstudien sowie der Grundlagenforschung deuten stark darauf hin, dass dies auf viele im alltäglichen Gebrauch befindliche Substanzen aus den unterschiedlichsten chemisch-industriellen Verfahren zutrifft. Es liegen starke Anzeichen für körperliche Beeinträchtigungen (Unfruchtbarkeit, Krebs, Missbildungen) infolge der Einwirkung von endokrin wirksamen Chemikalien vor, und es gibt zunehmend Anhaltspunkte für Auswirkungen auf andere endokrine Systeme, wie z. B. die Schilddrüse, neuroendokrine Mechanismen sowie den Insulin- und Blutzuckerspiegel.

Im Schwerpunkt der Forschung stehen künstlich hergestellte Chemikalien mit ungewollter hormonähnlicher Wirkungsweise. Diese Chemikalien werden seit Jahrzehnten verwendet und sind weit verbreitet. Einige sind immer noch im Gebrauch:

  • Agrochemikalien wie DDT (Dichlordiphenyltrichlorethan), Vinclozolin, Endosulfan, Toxaphen, Dieldrin, Atrazin
  • Industriechemikalien und Nebenprodukte wie z. B. polychlorinierte Biphenyle (PCBs), Dioxine, Bisphenol A (BPA) sowie weitere Phenole. Diese Phenole sind zum Teil Zersetzungsprodukte von in Seifen und Reinigungsmitteln enthaltenen oberflächenaktiven Stoffen.
  • Ebenfalls betroffen sind Schwermetalle, Kunststoffe, Kosmetika, Textilien, Lacke und Schmierstoffe. Kläranlagenabwässer können eine Reihe von natürlichen und künstlichen endokrinen Disruptoren enthalten, darunter auch natürliche Hormone aus tierischen und menschlichen Ausscheidungen.

In ihren wissenschaftlichen Feststellungen 2009 fasste die Gesellschaft für Endokrinologie (Endocrine Society) alle bisher veröffentlichten Nachweise zum Thema endokrine Disruptoren zusammen:

"Wir können belegen, dass endokrine Disruptoren auf die Fortpflanzungsfähigkeit bei Männern und Frauen, auf die Brustentwicklung und den Brustkrebs, auf den Prostatakrebs, die Neuroendokrinologie, die Schilddrüse, den Stoffwechsel und Fettleibigkeit sowie auf die Herz-/Kreislaufendokrinologie Auswirkungen haben. Die zunehmende Tendenz zur Fettleibigkeit korrespondiert mit dem zunehmenden Gebrauch und der immer weiteren Verteilung von Industriechemikalien, die an der Entstehung von Fettleibigkeit beteiligt sein könnten."

Auch aufgrund einiger Einzelereignisse sind große Mengen an endokrinen Disruptoren in die Umwelt gelangt (z. B. Dioxin während des Seveso-Störfalls im Jahre 1976 oder Corexit bei der Bekämpfung des Ölpests nach der Havarie der Ölbohrplattform Deepwater Horizon im Jahre 2010). Nach solchen extremen Belastungen mit Umwelthormonen konnten dramatische Auswirkungen auf den Menschen beobachtet werden. Eine direkte Verbindung zwischen Gesundheitsproblemen beim Menschen und der langfristigen Aufnahme von endokrinen Disruptoren in geringen Dosen ist jedoch bisher nicht festgestellt worden. Nichtsdestotrotz haben Bedenken hinsichtlich der Auswirkungen auf die Ausbildung unterschiedlicher Geschlechtsmerkmale bei Fischen und Amphibien sowie der verminderten Überlebensfähigkeit der betroffenen Nachkommen zur Ergreifung von Vorsichtsmaßnahmen geführt.

Haftpflichtrisiken ergeben sich bisher aus Umweltbelastungen, für die bereits einige Ansprüche auf Ersatz von Sanierungskosten erfolgreich durchgesetzt wurden. Die größte Gefahr für die (Rück-)Versicherungswirtschaft stellt eine mögliche Verbindung zwischen der langfristigen Aufnahme von Umwelthormonen auf niedrigem Niveau und künftigen Personenschäden dar. Angesichts der ökologischen Stabilität, der Langzeiteinwirkung der Substanzen sowie der verzögerten Manifestation der Krankheiten könnte sich eine Welle von Spätschäden ergeben.

Allgemein ist ein allmählich öffentliches Interesse zu beobachten. In Zusammenhang mit weitreichender Gesetzgebung zum Schutz der Umwelt könnte dies zur vermehrten Erhebung von Schadenersatzansprüchen in vielen Teilen der Welt, insbesondere in den USA, der EU, Japan und Australien, führen. Ihre weitverbreitete Verwendung, ihre chemische Stabilität und die Ansammlung entlang der Lebensmittelkette sowie über die Lebenszeit legen den Verdacht nahe, dass endokrine Disruptoren das Potenzial haben, Serien- und Kumulschäden auszulösen.

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